14. Januar 2000

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Überwachung im Kloster des Karmapa in Tibet verschärft

Reinkarnation des Reting Rinpoche von der TAR Regierung ernannt

Untersuchungen, wie es dazu kam, daß der Karmapa den Sicherheitskräften in dem Tsurphu Kloster entging, wurden sofort gestartet, nachdem die Chinesen auf sein Verschwinden aufmerksam wurden; augenblicklich wurden alle Überwachungsmaßnahmen in dem Kloster, das in dem Distrikt Toelung der Präfektur Lhasa liegt, verstärkt. Eine Quelle berichtete TIN, daß kurz danach Einheiten der bewaffneten Volkspolizei (PAP) in Tsurphu eintrafen. Es heißt auch, daß die Mönche von Tsurphu in ihrem Kloster eingeschlossen wurden, was schließen läßt, daß einige vernommen wurden, während mindestens 2 Mönche verhaftet und in die Distrikthauptstadt gebracht wurden. Auch auf den Straßen zur Grenze Tibets nach Süden wurden die Sicherheitsvorkehrungen verschärft.

Auf Verlangen von Spitzenfunktionären der Chinesischen Kommunistischen Partei wurde eine dringende Versammlung des Staatsrates und der TAR Regierung einberufen, um Gegenmaßnahmen auf das Verschwinden des Jungen hin zu erörtern, wie von der Hongkonger Zeitung Ming Pao am 9. Januar berichtet wurde. Auch wurden die Polizeibehörden von Tibet und Lhasa instruiert, den Vorfall zu untersuchen, hieß es dort weiter. Ming Pao zufolge glaubt die chinesische Regierung, daß der Karmapa "von gewissen Personen benützt und zur Abtrünnigkeit aufgestachelt" wurde. Auch hätte die Sache "mit den im Exil befindlichen separatistischen Kräften des Dalai Lama in Indien" zu tun. Der Bericht fügt hinzu, daß Peking "auf verschiedene Weise" versuche, den Karmapa in Indien zu kontaktieren, "um die Lage besser zu verstehen oder ihn zur Rückkehr zu überreden."

Nach einem Bericht von Press Trust of India traf ein Onkel des Karmapa, Namgyal Gompu, am 12. Januar in Dharamsala ein, um dem Karmapa zwei Briefe zu überbringen, in denen stehe, er solle im Interesse seiner Familie, die noch in Tibet ist, dorthin zurückkehren.

Es überrascht nicht, daß angesichts der politischen Brisanz, die seine Anwesenheit in Indien auslöste, seine weiteren Pläne noch unklar sind. Die indische Regierung hält an ihrer offiziellen Position fest, daß der Karmapa noch nicht um politisches Asyl nachsuchte, während Quellen in Dharamsala meinen, daß die indische Regierung eine Kompromißlösung suchen könnte, indem sie dem Karmapa denselben Flüchtlingsstatus wie den meisten Tibetern in Indien gewährt. Das würde ihm das Bleiberecht und Reisedokumente geben, ohne die indische Regierung in die Zwickmühle zu versetzen, ihm politisches Asyl zu gewähren oder zu verweigern. Sollte er in Indien bleiben, so ist es unwahrscheinlich, daß er sofort nach Kloster Rumtek in Sikkim, dem Sitz des 16. Karmapa, reisen wird: teilweise wegen der anhaltenden Kontroverse um einen Rivalen auf den Titel des Karmapa und auch wegen der politischen Empfindlichkeit des Bundesstaates Sikkim. China hat nämlich bisher die von Indien 1975 vorgenommene Annektierung Sikkims noch nicht anerkannt und betrachtet Sikkim als ein unabhängiges Land.

Anerkennung von Reting Rinpoche

Die offizielle Erklärung der Anerkennung des 7. Reting Rinpoche erfolgte bereits zwei Tage, nachdem der Karmapa das Kloster Tsurphu verlassen hatte, in Lhasa. Der stellv. Bürgermeister von Lhasa, Dargye, erklärte bei einer Pressekonferenz am 30. Dezember 1999, daß eine Bitte des Demokratischen Verwaltungskomitees des Klosters Reting, die Reinkarnation des 6. Rinpoche von Reting, der im Februar 1997 verstorben war, zu suchen, von der TAR Regierung ordnungsgemäß gebilligt wurde, wobei "eine Reihe von Fakten besonders berücksichtigt werden sollten, etwa, daß der 6. Reting Rinpoche das Land und die Religion während seines Lebens sehr liebte, sowie einen großen Einfluß auf die breiten Massen der Mönche und Laien hatte".

Xizang Ribao (Tibet Daily) berichtete über Dargyes Rede und betonte, daß die Suche nach dem Reting Rinpoche streng nach den traditionellen Methoden durchgeführt werde "einschließlich der Divination und der Achtung auf Visionen in Seen, die von hohen Mönchen von großer Tugend in der Region gesehen werden". Der Bericht vom 31. Dezember erwähnt auch, daß die Mitglieder der Suchkommission über 2.300 km reisten, 670 Kinder in 31 Gemeinden in 8 Distrikten in Augenschein nahmen und dann 20 Kinder zur näheren Begutachtung auswählten. Der Kandidat sei von den "höheren Autoritäten" bestätigt worden und der nächste Schritt sei nun, "das Haar des Kindes zu schneiden, seinen Mönchsnamen zu wählen und die Inthronisation durchzuführen, um dieses große buddhistische Werk zufriedenstellend zu vollenden", sagte Dargye weiter.

Die offizielle Kontrolle der Suche nach Reinkarnationen in Tibet ist vielen Tibetern ein Dorn im Auge, die die Einmischung des atheistischen Staates in eine ihrer wichtigsten religiösen Traditionen für unannehmbar halten. Ein Sprecher der tibetischen Exil-Regierung in Dharamsala, Thupten Samphel, sagte heute, daß "die Anerkennung traditionell von S.H. dem Dalai Lama" kommen muß. Die Bestimmung einer Reinkarnation "kann keine administrative Entscheidung sein, sie ist eine Frage des Glaubens der Leute". Ein anderer Exil-Tibeter meinte, daß die Regierung in Tibet "nicht dafür Sorge trage, eine authentische Reinkarnation zu finden, sondern daß sie den ganzen Prozeß so handhabe, daß sie irgendein gewöhnliches Kind nominiert, dem sie dann einen Titel aufsetzt und das sie nach ihren eigenen politischen Zwecken aufzieht."

Tradition ist, wenn ein reinkarnierter Lama stirbt, daß die älteren Mönche seines Klosters die Suche nach einem Nachfolger durchführen und dann den Dalai Lama um seinen Rat fragen, insbesondere wenn es irgendeinen Konflikt um die Wahl des Richtigen gibt. Wie weit der Dalai Lama sich damit zu befassen hat, hängt von dem Status der zur Debatte stehenden Reinkarnation ab. Thupten Samphel meinte TIN gegenüber, daß im Falle der Anerkennung des 7. Reting Rinpoche die Zustimmung des Dalai Lama entscheidend wäre wegen der besonderen Beziehung zwischen dem Dalai Lama und dem 5. Reting Rinpoche (1913-1947), nämlich der "eines Schülers zu seinem Lehrer".

Die ganze Frage der Reinkarnation wurde 1995 aktuell, als der Konflikt zwischen hergebrachtem Glauben und Praxis und offiziellen Diktaten um die Anerkennung des 11. Panchen Lama ausbrach. Als der Dalai Lama im Mai 1995 Gendun Choekyi Nyima als die Reinkarnation des Panchen Lama anerkannte, wurde der Knabe mit seiner Familie von den Chinesen in Verwahrsam genommen, während ein anderer Kandidat, Gyaltsen Norbu, als Panchen Lama inthronisiert wurde. Dieser Konflikt führte zu der Verhaftung von vielen Mönchen und einer Gefängnisstrafe von 6 Jahren für Chadrel Rinpoche, den Leiter des Suchkomitees, der damals Abt von Tashilhunpo, dem Stammkloster des Panchen Lama, war.

Die Versuche der chinesischen Regierung, ihrer Autorität bei der Suche nach den tibetischen Reinkarnationen Ausdruck zu verleihen, sind nur ein Aspekt der in dem vergangenen Jahrzehnt immer härter gewordenen Kontrolle über alle religiösen Aktivitäten und religiösen Würdenträger in China. Der "patriotische Umerziehungsfeldzug", der im Mai 1996 in der TAR gestartet wurde und seitdem in Klöstern innerhalb und außerhalb der TAR durchgeführt wird, erfaßte auch Tsurphu und Reting (in Kreis Lhundrub). Er stellt die bisher umfassendste Aktion der Regierung dar, ihre Macht über die Klöster zu konsolidieren und jeden Dissens sofort zu ersticken. Da ein zentraler Punkt dieser Kampagne die Forderung ist, daß die Mönche sich vom Dalai Lama abkehren müssen, entfesselte er in vielen Klöstern aller tibetischer Gebiete Widerstandsbekundungen.

Sowohl Tsurphu als auch Reting wurden in den letzten Jahren immer wieder in der offiziellen Presse als Modelle "patriotischer" Klöster gerühmt, und ihre jeweiligen Oberhäupter, der Karmapa und der verstorbene 6. Reting Rinpoche, wurden in den chinesischen Medien als patriotische Vorbilder dargestellt. Trotz ihres "patriotischen" Status gab es jedoch Berichte über Proteste in beiden Klöstern, die zur Verhaftung von Mönchen in Tsurphu und in Reting führten.

Über den Reting Rinpoche

Der 5. Reting Rinpoche war eine bedeutsame und kontroverse Gestalt in der modernen Geschichte Tibets. Durch Divination im Januar 1934 nach dem Tod des 13. Dalai Lama als Regent erkoren, spielte Reting Rinpoche eine Schlüsselrolle bei der Auffindung des gegenwärtigen Dalai Lama. Als Regent hatte er auch das formelle Amt des ersten Tutors des jungen 14. Dalai Lama inne. Nach seinem Rücktritt 1941 wurde er später der Konspiration mit den Chinesen gegen die tibetische Regierung beschuldigt und im April 1947 verhaftet. Unter ungeklärten Umständen starb er einen Monat später im Gefängnis.

Der 6. Reting Rinpoche war historisch eine weniger bedeutende Figur. Unter kommunistischer Ägide aufgezogen, wurde ihm sein erster offizieller Posten als Mitglied des Ständigen Ausschusses der Buddhistischen Vereinigung der TAR 1956 im Alter von 8 Jahren angetragen. Während der Kulturrevolution mußte auch er die "Kampfsitzungen" erleiden und war dann ein Jahr eingesperrt. Er wurde formell Ende der 70er Jahre rehabilitiert und wurde wieder mit mehreren offiziellen Posten ausgezeichnet. Wie der 10. Panchen Lama führte auch er ein weltliches Leben und heiratete nach seiner Gefangenschaft. Der 6. Reting Rinpoche starb am 13. Februar 1997.

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